Die Klinik

Tischgespräche (4)

Infra: „Glaubscht du an Gott?“

Horst: „Nein, das tue ich sicher nicht.“

Pokerface: „-“

Ich: „-“

Infra: „Ischt aber bewiesen, dass es Gott gibt.“

Horst: „Ach tatsächlich? Ich war der Meinung, dass Stephen Hawking die Nichtexistenz von gottähnlichen Wesen bereits 1998 bewiesen hätte…“

Pokerface (löffelt stoisch seine Suppe): „-“

Ich: „-“

Infra: „Steht aber in so nem Buch, dass es Gott gibt.“

Horst: „Ja, das kann ja Jeder schreiben. Dadurch wird es aber nicht wahrer.“

Pokerface: „-“

Ich: „-“

Infra: „Gugscht du mal des ganze Sonnensystem! Da dreht sich alles um Erde. Die ganze Planeten, Jupiter, Poseidon, der Mond und so. Die würden doch alle runter fallen, ohne einen Gott, der wo sie festhält.“

Horst: „Das sind wohl eher die Gravitationskräfte, die die Planeten auf ihren Bahnen halten. Poseidon ist übrigens kein Planet, sondern eine Figur aus der griechischen Mythologie. Und die Planeten drehen sich um die Sonne, nicht um die Erde. Und der Mond… ach ist auch egal.“

Pokerface: „-“

Ich: „Kann ich mal den Zucker haben?“

Infra: „Aber des dreht sich alles so schnell, des isch eine irrsinnige Geschwindigkeit, da wird’s dir ganz schwindelig, wenn du nur dran denksch. Des können deine Gravierungskräfte gar net halten, des würde doch alles auseinander fliegen und sich überall im Weltraum verteilen. Des gäb ein heilloses Durcheinander ohne ein Gott, die würden alle ineinander rein krachen, dass es nur so scheppern tut. Des isch doch der Beweis, dass es einen Gott geben muss, ohne geht gar nicht.“

Horst: „Also, da fällt mir jetzt auch nichts mehr ein.“

Pokerface (blickt mich über seinen Suppenlöffel hinweg an. Ein winziges Zucken in seinem Mundwinkel ist zu sehen): „-“

Ich: „-“

Infra (wendet sich an mich): „Du glaubsch aber an Gott?“

Horst (atmet tief aus): „-“

Pokerface (verschluckt sich an seiner Suppe und hustet): „-“

Ich: „Ich gehe nochmal zum Salatbuffet.“

Beobachtungen (4)

Ich habe einen Duschvorhang in meinem Bad. Ich dachte eigentlich, Duschvorhänge wären ausgestorben, seit sie von der UN-Menschenrechtskonvention als seelische Folter geächtet wurden. Immer wenn ich heiß dusche, wird der nasse Kunststoffvorhang durch einen Kamineffekt nach innen gezogen und klebt großflächig an meiner Haut fest. Ich identifiziere das Basisgefühl „Ekel“. Trotz Vorhang steht das ganze Badezimmer nach dem Duschen unter Wasser – heute lief ein Bächlein bis in den Wohnzimmerteppich, der seitdem schmatzende Geräusche macht.

Die Zimmereinrichtung

Mein Zimmer ist eigentlich ganz gut, modern und funktional, zwar ohne Fernseher und ohne WLAN, aber immerhin mit Fußbodenheizung. Mobilfunknetz gibt es an wolkenfreien Tagen auch, nämlich in der Ecke rechts hinter dem Betonpfosten, wenn man auf die Zehenspitzen steht. Nur die Beleuchtung ist so schwach, dass ich Abends nicht lesen kann. Wie so oft kommen mir auf dem Klo wegweisende Eingebungen. Genau jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um mein Schicksal aktiv selbst in die Hand zu nehmen. Ich werde die Energiespar-Funzel gegen eine kräftige 100-Watt-Birne austauschen, die ich mir am Wochenende mitbringen ließ. Ich ziehe an der Kordel für die Lüftung im Klo, spüle und mache mich an die Arbeit. Mein Haustelefon klingelt, aber dafür habe ich jetzt keine Zeit. Ich nehme mir vor, zurück zu rufen, wenn ich fertig bin.

Ich stelle einen Stuhl unter die Deckenlampe und entferne die Abdeckung. Dann löse ich das Kabel, um an die Fassung zu kommen. Ich stecke mir die Glühbirne in den Mund, um beide Hände frei zu haben. In diesem Moment klopft es an meiner Tür. Ich kann wegen der Glühbirne in meinem Mund nur undeutliche Mmpf-Geräusche von mir geben.

Dann öffnet sich meine Zimmertür (ich war mir sicher, dass ich von innen abgeschlossen hatte) und Oberschwester Ratched stürmt mit einem Erste-Hilfe-Köfferchen herein. Wir starren uns für drei sehr lange Sekunden gegenseitig in die Augen, ich mit der Glühbirne im Mund auf meinem Stuhl stehend, das Stromkabel in meinen Händen über dem Kopf. Sie mit ihrem Köfferchen in einer Pfütze, die aus dem nassen Teppich quillt, schwer atmend.

Dann sagt Oberschwester Ratched in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet: “Was auch immer sie vorhaben, das ist keine Lösung für ihre Probleme. Sie steigen jetzt sofort da runter!“

Eine Stunde später habe ich ein Gespräch mit dem leitenden Ober-Psychiater.

„Nun“, eröffnet er das Gespräch. „Wir kennen uns ja schon von meinem Vortrag über Persönlichkeitsstile, den Sie so trefflich unterbrochen haben, nicht wahr? Mmh, in meinem Vortrag hatte ich den Typ des Querulanten nicht erwähnt. Mmh, dieser Typ zeichnet sich dadurch aus, dass er lieber anderen Menschen Probleme bereitet, als sich selbst. Mmh, leider führt aber genau das dann doch wieder zu Problemen für ihn selbst, nicht wahr?“

Ich schlucke und warte ab.

„Nun“, nimmt er den Faden wieder auf. „Das Wohlergehen unserer Patienten und ihre Sicherheit haben für uns oberste Priorität. Mmh, wir sind stolz darauf, dass wir seit über zwanzig Jahren keinen Patienten verloren haben. Mmh, und das soll auch so bleiben, nicht?“

Ich äußere mein Verständnis und nicke zustimmend.

„Nun“, fährt der Seelendoktor mit einem Stirnrunzeln fort. “Die Pflegedienstleitung hat mir von gewissen Vorkommnissen in ihrem Zimmer berichtet. Mmh, darüber möchte ich mich mit Ihnen jetzt ausführlich unterhalten.“

Es kostet mich zwanzig Minuten, ihn davon zu überzeugen, dass es mir gut geht, dass ich keine dunklen Gedanken hege, dass ich keine Medikamente brauche und dass ich nur die Lampe auswechseln wollte.

„Nun gut, aber eines verstehe ich trotzdem nicht“, hakt der Psychiater nach. „Warum haben Sie den Notruf betätigt, wenn Sie nur eine Lampe auswechseln wollten?“

„Notruf?“, frage ich. „Ich habe keinen Notruf betätigt, ich habe nur die Lüftung im Klo eingeschaltet.“

notrufklingel
Toilettentechnik

„Und dann haben Sie auch noch unseren Kontrollanruf auf ihrem Zimmertelefon ignoriert.“ Das ist aber mehr eine Feststellung, als eine Frage. Wir beenden das Gespräch im Wissen, dass es gegen diese Art von Problemen keine Medikamente gibt. Schließlich bekomme ich Gürtel, Schnürsenkel und mein Taschenmesser zurück. Beim Hinausgehen meine ich ein mühsam unterdrücktes Lachen im Gesicht des Psychiaters zu erkennen. Vermutlich hat er hier in der Klinik schon so Manches erlebt.

22 Kommentare zu „Die Klinik“

      1. Auch Lehrer sind nur Menschen. Gerade in Deutsch braucht man den, dem der Stil zu schreiben gefällt. Ich hatte jahrelang eine Deutschlehrerin, die meinen Stil liebte und dann kam so einer im Trachtenanzug, da war ich ganz schnell von 1 auf 4…😉

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  1. Hi Marco,
    sehr lustige Geschichte, ich hatte viel Spaß beim Lesen.
    Schön, dass Du in dieser Klinik auch irgendwie Deinen Spaß hattest.
    Liebe Grüße,
    Petra

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  2. So, eben habe ich deine Geschichte fertig gelesen. Die beste therapeutische Maßnahme, da belustigend (lachen ist gesund…) und abschreckend zugleich. Da überlegt man sich das zweimal mit dem Burnout… 😉

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  3. Ich kenne derlei Kliniken durchaus auch von innen. Wobei mir eingangs auffiel: Reha(bilitation)sklinik zur (Irgendwas, hier Burnout)Prophylaxe? Da hat sich ein gewisser Widerspruch eingeschlichen. Absicht des Autors oder Fehler der Rentenversicherungsträger?
    Und ja, man erlebt allerlei. Mit Patienten, mit Personal, mit dem bekannten Alltagsgespenst, das sich strikt nach Herrn Murphys Gesetzgebung ausrichtet, dabei aber oft eine schräge Art von Humor entwickelt. In dem Fall schon das verfallende Gemäuer nebenan. Das Stöhnen im Keller wird ja vermutlich von einst dort vergessenen Patienten kommen. Aber inzwischen werden die sich ja dran gewöhnt haben, besser nicht nachschauen.
    In „Als ich in jenem Dorfe lebte“ (Warnung vorangestellt, das ist sehr lang) darf der Arzt irgendwelche Chakren suchen. Bei mir war das anders. Die lernte ich in einer solchen Klinik kennen und benannte der, freilich in ganz anderem Ambiente, ausübenden altindischer Körperweisheiten meine diesbezüglichen, schulmedizisch – nüchtern -europäischen BEdenken. Es wurde dann noch ganz lustig, genauso mit dem Nadelmann, der unbedingt meinte, er müsse mir irgendwelche Piekser versetzen und mich aussehen lassen wie eine weitere Figur in so einem amerikansichen Horrorfilm.

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    1. Dann kannst du meine Erlebnisse ja gut einordnen, wenn du auch die andere Seite kennst 😁. Das Fachpersonal war jedenfalls ganz begeistert von meinem Bericht. Der vermeintliche Widerspruch mit der Prophylaxe in einer Reha-Klinik war übrigens kein Fehler sondern eine Innovation. Sich helfen lassen, bevor es einen völlig umhaut, ist sehr sinnvoll.

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      1. Absolut sinnvoll! Bloß müßte man die Kliniken umbenennen. Prophylaxe hat in unserer Welt ohnehin zu wenig Stellenwert, egal ob Klimawandel, Abrüstung (ich weiß, das ist derzeit ein bäh-Wort), Umweltschutz, Gesundheit… Wie wär’s mit Prophylaxitionsklinikum? Prophylaxation klingt noch blöder, Noch mal nachdenken…

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  4. Neue Erfahrung, wenn auch diesmal nicht die Eigene: Wer krank wird, wird aus der RehaKLINIK rausgeschmissen. Schon so ein kleiner, allgemein bekannter (außer bei denen, die ihm grundsätzlich die Existenz absprechen und auch sonst meist in einer selbst zusammengezimmerten Welt leben) Virus genügt… Womit begründen die eigentlich den Begriff Klinikum?

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  5. Ahh, ich habe Volleyball immer gehasst und musste bei deiner Spielbeschreibung so lachen, dass mein Mann sich schon anfing, Sorgen zu machen. Dann wollte ich ihm das vorlesen, ging nicht, weil ich so lachen musste. Solltest du irgendwann ein Buch rausgeben, sag Bescheid. Ich kauf‘s.

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    1. Oh danke, danke. Wenn ich deine Lachmuskeln ein wenig trainieren konnte, dann hat sich das Schreiben gelohnt. Ein Buch hab ich bisher nicht geplant, aber es gibt auf meinem Blog ja noch jede Menge andere Geschichten.

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