Die Klinik

verwahrloste klinik

Vorwort

Ich habe allergrößten Respekt vor all den Menschen, die mit teilweise dramatischen Lebensläufen, nach schweren Schicksalsschlägen oder nach einer langen Zeit des Leidens ihre Probleme in einer Reha-Klinik bearbeiten. Und ich bewundere die Therapeuten und die zahlreichen unsichtbaren Helfer, die mit unendlicher Geduld und viel Engagement helfen. Es liegt mir fern, mich über diese Menschen lustig zu machen.

Allerdings habe ich in meiner Reha so viele schräge Situationen erlebt, dass ich an einem kurzen Bericht einfach nicht vorbei komme. Ich kann nicht anders, sonst würde mein Kopf vor lauter Unsinn platzen. Manches davon habe ich erfunden. Alle Namen wurden von mir geändert. Einiges habe ich übertrieben. Aber Vieles ist erstaunlich nahe an der Wahrheit, wie ich sie erlebt habe. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind daher durchaus möglich.

Humor ist ein nicht zu unterschätzendes Therapiemittel, wie hier immer wieder betont wird. In diesem Sinne: Wer lacht, bleibt gesund!

Der Einstieg

„Sie haben ihr Ziel erreicht!“

Zumindest behauptet das die Dame in meinem Navi. Ich hoffe, dass sie sich dieses Mal irrt, denn das Gebäude, vor dem ich stehe, hat so gar keine Ähnlichkeit mit einer Reha-Einrichtung zur Burnout-Prophylaxe. Es erinnert mich eher an einen Schauplatz aus einem Horrorroman von Stephen King. Im Erdgeschoss sind alle Fenster mit Brettern vernagelt, in den oberen Stockwerken sind zahlreiche Fensterscheiben zerbrochen. Überall bröckelt der Putz von den Wänden und um das Gebäude herum wuchert das Unkraut. Als ich um das verfallende Bauwerk herum laufe, meine ich ein leises gequältes Stöhnen aus dem Keller zu hören, es könnte aber auch nur der Wind gewesen sein.

Direkt nebenan finde ich dann doch noch die Rezeption der Klinik und etliche moderne Gebäude. Ich bin so erleichtert, dass ich sogar den Krankenhausduft des Desinfektionsmittels ignoriere, der durch die Flure wabert. Dann checke ich ein und warte, bis ich abgeholt werde.

Der erste Tag in meiner Reha verläuft recht kurzweilig. Ich werde von einem Arzt untersucht, der im Wesentlichen wissen will, wie viel ich wiege und ob ich schon mal an Selbstmord gedacht habe. Er notiert beide Antworten. Danach geht es zur Stationsleitung, die mich fragt, wie viel ich wiege und ob ich schon mal daran gedacht habe, mir etwas anzutun. Sie notiert ebenfalls meine Antworten. Dann ist da noch ein Termin mit meiner „Bezugstherapeutin“, wobei unklar bleibt, was ich von ihr beziehen könnte. Essensgutscheine? Eine Tracht Prügel? Sie will ausführlich wissen, warum ich hier bin und ob ich schon mal Gedanken an Suizid gehabt hätte, was ich immer noch verneinen muss. Und ach ja, wie viel ich denn wiege, fragt sie noch. Anschließend bekommen wir Neuankömmlinge eine Führung durch die Klinik und dürfen dann unsere Zimmer beziehen.

Am nächsten Tag liegt mein Therapieplan in meinem Postfach. Die erste Aktivität noch vor dem Frühstück lautet: „Wiegen“. Ich beginne zu zweifeln, ob ich mich klar genug ausgedrückt hatte, denn mit dem Gewicht habe ich nun wirklich kein Problem.

Der zweite Punkt auf meinem Plan lautet „Pflegevisite auf Ihrem Zimmer“. Das klingt irgendwie nach Drogenrazzia. Ich verstecke sicherheitshalber meine Süßigkeiten und das Nutellaglas im Safe und erwarte die Visite im aufgeräumten Zimmer bei geöffnetem Fenster. Herein kommt eine stämmige Frau unbestimmbaren Alters mit militärisch kurzen Haaren mit einem Klemmbrett unter dem Arm. Sie erinnert mich stark an Oberschwester Ratched aus dem Film „Einer flog über das Kuckucksnest“, die mit eiserner Hand ein menschenverachtendes Regiment in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt führte.

Sie schließt mein Fenster und bemerkt: „Sie wissen sicherlich, dass in unserer Klinik nicht geraucht werden darf, auch nicht am offenen Fenster?“

Dabei bläht sie ihre Nüstern, als ob sie eine Witterung aufnehmen will. Ich beteure, dass ich Nichtraucher sei und nicht vorhabe, ausgerechnet hier mit dem Rauchen anzufangen. Als sie darauf nichts erwidert, versuche ich das Gespräch abzukürzen.

„Ich wiege übrigens siebzig Kilo und nein, ich habe noch nie daran gedacht mich umzubringen. Falls ich jemals Jemanden umbringe, dann höchstens mal einen dieser schleichenden Sonntagsfahrer“, versuche ich die Stimmung etwas aufzulockern.

Oberschwester Ratched scheint von Humor eine andere Vorstellung zu haben, als ich. Sie verzieht keine Miene.

„Nun gut, die Regeln unserer Klinik können Sie in diesem Faltblatt nachlesen. Zum Wohl unserer Patienten legen wir größten Wert auf Einhaltung der Regeln und auf einen geordneten Ablauf. Beachten Sie insbesondere das Verbot von Suchtmitteln. Das schließt auch ein striktes Alkoholverbot mit ein. Falls Sie Fragen haben, wenden Sie sich einfach vertrauensvoll an mich. Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Aufenthalt.“ Sprachs und entschwindet aus meinem Zimmer. Ich nehme mir vor, dieser Person keinen Anlass zu Beanstandungen zu geben.

22 Kommentare zu „Die Klinik“

      1. Auch Lehrer sind nur Menschen. Gerade in Deutsch braucht man den, dem der Stil zu schreiben gefällt. Ich hatte jahrelang eine Deutschlehrerin, die meinen Stil liebte und dann kam so einer im Trachtenanzug, da war ich ganz schnell von 1 auf 4…😉

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  1. Hi Marco,
    sehr lustige Geschichte, ich hatte viel Spaß beim Lesen.
    Schön, dass Du in dieser Klinik auch irgendwie Deinen Spaß hattest.
    Liebe Grüße,
    Petra

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  2. So, eben habe ich deine Geschichte fertig gelesen. Die beste therapeutische Maßnahme, da belustigend (lachen ist gesund…) und abschreckend zugleich. Da überlegt man sich das zweimal mit dem Burnout… 😉

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  3. Ich kenne derlei Kliniken durchaus auch von innen. Wobei mir eingangs auffiel: Reha(bilitation)sklinik zur (Irgendwas, hier Burnout)Prophylaxe? Da hat sich ein gewisser Widerspruch eingeschlichen. Absicht des Autors oder Fehler der Rentenversicherungsträger?
    Und ja, man erlebt allerlei. Mit Patienten, mit Personal, mit dem bekannten Alltagsgespenst, das sich strikt nach Herrn Murphys Gesetzgebung ausrichtet, dabei aber oft eine schräge Art von Humor entwickelt. In dem Fall schon das verfallende Gemäuer nebenan. Das Stöhnen im Keller wird ja vermutlich von einst dort vergessenen Patienten kommen. Aber inzwischen werden die sich ja dran gewöhnt haben, besser nicht nachschauen.
    In „Als ich in jenem Dorfe lebte“ (Warnung vorangestellt, das ist sehr lang) darf der Arzt irgendwelche Chakren suchen. Bei mir war das anders. Die lernte ich in einer solchen Klinik kennen und benannte der, freilich in ganz anderem Ambiente, ausübenden altindischer Körperweisheiten meine diesbezüglichen, schulmedizisch – nüchtern -europäischen BEdenken. Es wurde dann noch ganz lustig, genauso mit dem Nadelmann, der unbedingt meinte, er müsse mir irgendwelche Piekser versetzen und mich aussehen lassen wie eine weitere Figur in so einem amerikansichen Horrorfilm.

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    1. Dann kannst du meine Erlebnisse ja gut einordnen, wenn du auch die andere Seite kennst 😁. Das Fachpersonal war jedenfalls ganz begeistert von meinem Bericht. Der vermeintliche Widerspruch mit der Prophylaxe in einer Reha-Klinik war übrigens kein Fehler sondern eine Innovation. Sich helfen lassen, bevor es einen völlig umhaut, ist sehr sinnvoll.

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      1. Absolut sinnvoll! Bloß müßte man die Kliniken umbenennen. Prophylaxe hat in unserer Welt ohnehin zu wenig Stellenwert, egal ob Klimawandel, Abrüstung (ich weiß, das ist derzeit ein bäh-Wort), Umweltschutz, Gesundheit… Wie wär’s mit Prophylaxitionsklinikum? Prophylaxation klingt noch blöder, Noch mal nachdenken…

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  4. Neue Erfahrung, wenn auch diesmal nicht die Eigene: Wer krank wird, wird aus der RehaKLINIK rausgeschmissen. Schon so ein kleiner, allgemein bekannter (außer bei denen, die ihm grundsätzlich die Existenz absprechen und auch sonst meist in einer selbst zusammengezimmerten Welt leben) Virus genügt… Womit begründen die eigentlich den Begriff Klinikum?

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  5. Ahh, ich habe Volleyball immer gehasst und musste bei deiner Spielbeschreibung so lachen, dass mein Mann sich schon anfing, Sorgen zu machen. Dann wollte ich ihm das vorlesen, ging nicht, weil ich so lachen musste. Solltest du irgendwann ein Buch rausgeben, sag Bescheid. Ich kauf‘s.

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    1. Oh danke, danke. Wenn ich deine Lachmuskeln ein wenig trainieren konnte, dann hat sich das Schreiben gelohnt. Ein Buch hab ich bisher nicht geplant, aber es gibt auf meinem Blog ja noch jede Menge andere Geschichten.

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