Nachdem wir uns in Agra am Weltwunder satt gesehen hatten, fuhren wir mit dem Zug nach Jaipur, diesmal ohne Zwischenfälle. Es gab keine Leichen im Schlafwagen, die Abfahrt war pünktlich und es gab ausreichend leckeren Chai, den die fahrenden Händler nicht müde werden, anzupreisen. Ich höre ihren hypnotisierenden Sing-Sang immer noch nachts im Traum: „Chai, Chai, Chai, Chai, Chai….“

Reisen bildet, sagt man. Zumindest bekommt man beim Zugfahren einen unverstellten Blick auf Land und Leute. Der ist auch an deutschen Bahnstrecken nicht immer vorteilhaft, aber in Indien sieht man Dinge, die man nicht sehen will: Familien mit kleinen Kindern, die sich im stillgelegten Nebengleis zur Nachtruhe betten, während nebenan Jemand sein großes Geschäft verrichtet. Endlose meterhohe Müllberge, in denen Kinder, Hunde und Kühe nach Essbarem stochern. Und das alles wird überlagert von einem bestialischen Gestank nach Verbranntem und Verwesung. Du glaubst, ich übertreibe? Dann schau dir das Video auf Youtube an, das die SinnlosReisende aufgenommen hat.

Die Königsstadt Jaipur
Die Altstadt von Jaipur wurde im 19. Jahrhundert komplett in Rosa gestrichen, der Farbe der Gastfreundschaft. Der amtierende Maharadscha fand das zum Besuch von Prinz Albert und Königin Victoria angemessen. Auch heute noch ist es per Gesetz verboten, ein Haus in der Pink City in einer anderen Farbe zu streichen.




Der Palast der Winde
Neben dem Königspalast ist wohl der Palast der Winde mit seinen Erkern das auffälligste Gebäude der Stadt.

Dabei ist der Palast eigentlich gar kein richtiger Palast, wie ein Blick hinter die Kulissen zeigt. Hinter der hübschen Fassade verbirgt sich nämlich nicht viel. Das ganze Bauwerk diente den Hofdamen dazu, unerkannt dem Treiben auf der Straße zuschauen zu können.


Amber Fort
In Jaipur vereinigten wir uns mit der Reisegruppe Nr. 3 und buchten im Hotel ein Fahrzeug für den nächsten Tag. Als der Fahrer zum vereinbarten Zeitpunkt nicht auftauchte, fragte ich an der Rezeption nach. Nach einem kurzen Telefonat erhielt ich die Antwort: „Sir, the driver will be here in two minutes“.
„Two minutes“ ist eine in Indien gängige Zeitangabe, die fast immer auf die Frage nach der Dauer genannt wird. Ich habe es mehrfach gestoppt: zwei indische Minuten entsprechen zwischen sieben und fünfundzwanzig deutschen Minuten. Gemeint ist hier eher eine unverbindliche Information wie „der Koch hat bereits begonnen, deine Bestellung zu lesen und schickt demnächst den Küchenjungen zum Einkaufen auf den Markt“.
Vor der Abfahrt handelte ich mit dem Fahrer aus, dass er uns keine Guides vermittelt und in kein Geschäft bringt, egal wie sensationell günstig die Juwelen, Teppiche oder Kleider auch sein mögen (nur heute im Sonderangebot!). Er verzog zwar schmerzhaft sein Gesicht, willigte aber schließlich ein. Dann machten wir uns auf den Weg zum Amber Fort, einer historischen Festungsanlage.






In den mystischen Gemäuern des alten Palastes gibt es einen Spiegel, dem man magische Kräfte nachsagt. Wer mit reinem Herzen hineinschaut, der erkennt seine wahre Persönlichkeit, sagt die Legende. Ich machte die Probe und wurde überrascht. Vielleicht sollte ich mal einen Termin beim Psychiater vereinbaren. Bei einem Spezialisten für multiple Persönlichkeitsstörungen.

Galtaji – The Monkey Temple
Auf dem Weg zum Monkey Temple kamen wir am Jal Mahal, dem „ertrunkenen Wasserpalast“ vorbei. Die Geschichtsbücher belegen, dass der Stausee angelegt wurde, lange bevor das Jagdschloss gebaut wurde. Warum Jemand sein Schloss mitten in einen Stausee baut, ist mir schleierhaft; vielleicht hätte man vorher in Venedig um Rat fragen sollen.

Der Monkey Temple ist ein Hindutempel, der schon im 15. Jahrhundert in einen Bergpass hineingebaut wurde. Lange Zeit lebten hier einflussreiche Yogis und Asketen mit ihren Schülern und im Lauf der Jahrhunderte entstand eine ganze Tempelanlage. Pilger nehmen bis heute weite Reisen in Kauf, um in den sieben heiligen Teichen zu baden. Heute verfällt die Anlage zunehmend und Heerscharen von Affen bevölkern das Gelände.
Man kann die Tempelanlage durch ein großes Eingangstor betreten. Dann muss man zwei Kilometer über einen Bergpfad wandern und hat dafür kostenlosen Eintritt.

Wir liessen uns von unserem Fahrer um den Berg herum zum Hintereingang fahren. Dort wartet eine einzigartige Abzocke auf den neugierigen Touristen. Obwohl ich den Fahrer auf das Grab seiner Mutter schwören lassen hatte, dass er uns keine Guides vermittelt, empfahl er uns nun dringend die Begleitung eines am Eingang wartenden Experten. Denn die Affen seien brandgefährlich und unberechenbar. „He’s not a guide, he’s the Monkey Man. He will protect you“, erklärte uns der Fahrer, was seine Mutter in ihrem Grab zu einem nervösen Zucken veranlasste.
Wir akzeptierten den Nicht-Guide und bezahlten den kostenlosen Eintritt von 150 Rupien pro Person. Dass wir zu wenig Wechselgeld bekamen, versteht sich ja fast schon von selber. Bizarres Detail am Rande: für jedes Handy verlangten die Abzocker in ihrem Fake-Kartenhäuschen 200 Rupien extra. Das ist so unverschämt, dass es fast schon wieder bewundernswert ist.



Unterm Strich bekamen wir von unserem Nicht-Guide-Monkey-Man für umgerechnet 10 € eine einstündige Nicht-Führung mit zahlreichen interessanten Erklärungen. Und wir durften hautnah bei der Fütterung der Affen dabei sein. Ganz hautnah.


Als bei der Rückkehr zum Parkplatz unser Nicht-Guide zum zweiten Mal seine Provision abkassieren wollte, wurde es selbst dem gutmütigen Charly zu viel. Wir liessen uns ins Hotel fahren, wo wir für den nächsten Tag einen Transfer zum Flughafen buchten. Auch dabei wurden wir wieder abgezockt, aber wir waren inzwischen in Feierlaune und freuten uns auf die bevorstehende indische Hochzeit.
Wahnsinn, was alles in Indien „ist“ und „nicht ist“, davon wird mir noch immer schwindelig 😉 Hauptsache die Tour hat euch gefallen. Man muss echt aufpassen, sonst fressen die „Nicht-Guides“ einen mit Haut und Haaren. Ich bin auf die Hochzeit gespannt. Mal raten: ihr habt ein „Nicht-Eintrittsgeld“ plus eine „Nicht-Geldspende“ bezahlt? 😉
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Also, die Hochzeit war die Ausnahme. Das war ein rein privates Vergnügen ohne jegliche Hintergedanken.
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Ich bin gespannt und harre der Erzählungen, die da kommen 😉
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Klasse Fotos (Traumwetter!) und schöner Report. An Jaipur und Umgebung habe ich viele Erinnerungen. Die Affen sind zuweilen eine Plage (auch die anderen Zweibeiner), früher konnte man auf Elefanten zum Fort hoch „fahren“. Der tazende Shiva aus Bronze hat sich verirt, der gehört nach Tamil Nadu 🙂 Jedenfalls scheint Ihr die pinke Stadt genossen zu haben, oder?
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Jaipur hat schon eine ganze Menge an Sehenswürdigkeiten zu bieten. Ist halt auch eine riesige Stadt.
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Bewundernswert, dass ihr bei der ganzen Abzocke noch relaxed bleiben könnt. Ich glaube, wenn mir das ein paar Mal passiert wäre, könnte ich dort nichts mehr genießen…☹️
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Ja, das ist schon ärgerlich, aber wir waren nicht unvorbereitet und haben damit gerechnet. Ich versuche das immer sportlich zu nehmen. Wenn es doch mal passiert, dann hilft es auch nicht mehr, sich allzu lange zu ärgern.
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Genau mein Humor auf Reisen… nicht-Guide und nicht- Eintrittsgelder… 🤣
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oh wie schön, das habe ich auch alles rauf und runter erlebt. Bei den Affen war es mir teilweise too much und da die Anlage einem Berghang liegt, kann man kaum abhauen … weder vor den Affen … noch vor den Guides.
War aber auf jeden Fall ein Erlebnis … werde ich nie vergessen
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Genau, der einzige Unterschied ist, dass die Affen kein Trinkgeld wollen. 😁
Ich möchte das Erlebnis trotzdem nicht missen.
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Danke für deinen amüsanten Einblick nach Rajasthan. Foto- und Kamera-Fees separat zu bezahlen, ist inzwischen fast überall in Indien üblich. Da die Inderinnen und Inder nur sehr geringe Eintritte (Ausländer meistens das 10-fache) bezahlen, verdienen die ihr Geld vor allem mit diesen Kamera- und Videogebühren. Liebe Grüße aus Chennai Irène
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Ah, das war mir gar nicht bewusst. Ich kannte bis dahin nur die Variante „Fotografierverbot“ In Tempeln mit Kamera abgeben. Dass man aber extra bezahlen muss, wenn man sein Handy mitnimmt, finde ich sehr eigenartig. Zumal es in diesem Fall kein offizieller Eintritt war, sondern ein gefakter privater Stand.
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Indien ist groß und nicht umsonst ist auch hier der tanzende Shiva, der Weltenzerstörer und Weltenschöpfer, dabei. Er würde schon zeigen, wie Recycling geht, ganz egal, ob von Materiellem oder von Seelen! Und die Prachtbauten sind einfach toll. Gibt es denn bei uns rosa Frauengefängnisse? Denn letztlich ist der Palast der Winde nicht mehr.
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Beautiful pink city Jaipur! Thanks for sharing 👍👍
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Thanks
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☺️
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Das hab ich sehr gerne gelesen, obwohl ich sonst fast nie Reiseberichte lese. Danke auch für die tollen Bilder und dass du nicht nur das Schöne zeigst! Das mit dem Müll ist einfach schrecklich. Ich frage mich immer, warum da vor Ort nichts dagegen unternommen wird. Die Leute müssen doch alle darunter leiden!
Und dann wieder diese wundervollen Paläste und Tempel… Indien ist einfach rätselhaft!
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Danke für die Komplimente!
Ja, Indien ist voller Gegensätze und hat uns manchmal auch sehr verwirrt. Der Müll und der damit verbundene Gestank sind echt übel und für die dort Lebenden auch gesundheitlich grenzwertig.
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