Las Vegas

Wie aus einer gottesfürchtigen Siedlung die Stadt der Sünde wurde

Die ersten Eindrücke von Las Vegas sind neonfarben und überwältigend. Hier manifestiert sich der amerikanische Größenwahn in Reinform. Die Schwerkraft scheint aufgehoben, die Nacht wird zum Tag und es gibt alles, was man sich nur vorstellen kann und noch einiges mehr. Im Hotel Paris wurde für läppische 800 Millionen Dollar der komplette Stolz der Grande Nation kopiert: der Eiffelturm im Maßstab 1:2, der Triumphbogen und der Louvre. Und weil Bescheidenheit keine amerikanische Tugend ist, stellte man gleich noch den Versailler Spiegelsaal und die Pariser Oper dazu.

Das Hotel Paris mit Eiffelturm und Arc de Triomphe

Im Hotel The Venetien kann man sich vom Gondoliere unter einer nachgebauten Rialtobrücke durchfahren lassen und den Markusplatz mit Dogenpalast und Campanile bestaunen, alles schöner als im ursprünglichen Venedig. Im Innenbereich des zweitgrößten Hotels der Welt gibt es klimatisierte italienische Straßenzüge, die mit computergesteuertem künstlichem Licht jede Stunde einen ganzen Tag mit Sonnenaufgang und Untergang simulieren.

Die Rialtobrücke im Hotel The Venetien

Wir checkten etwas abseits vom Rummel in Sam’s Town Hall & Gambling House ein. Mit nur 645 Zimmern ein vergleichsweise bescheidenes Hotel, aber immerhin mit eigenem Casino und einem Indoor-Wasserfall. An der Frühstückskasse wurden wir wie Aliens aus einer anderen Galaxie bestaunt, weil wir weder Coupons noch irgendwelche Mitgliedskarten vorweisen konnten. Nach einem kurzen Aufklärungsgespräch besorgten wir uns eine kostenlose BeConnected-Profi-Player-Card, die uns knallharte Vorteile verschaffte:

  • Bei jedem Frühstück sparten wir 14 $
  • Wir konnten bequem bargeldlos unser ganzen Vermögen in den Casinos verspielen
  • Ganz unbürokratisch bekamen wir einen unglaublichen Kreditrahmen, abgesichert über unsere zukünftigen Gehalts- und Rentenansprüche und die unserer Nachkommen bis zur fünften Generation.

Das Frühstück selbst war typisch amerikanisch – eine Hauptmahlzeit mit Kalorien im fünfstelligen Bereich. Es blieben keine Wünsche offen, außer dem Wunsch, nie wieder etwas zu essen.

Während in den großen Casinos am Las Vegas Strip unzählige Amerikaner ihre Rente zielstrebig verzocken, vergnügen sich die Jüngeren in der Fremont Street. Hier werden jeden Abend 12 Millionen LEDs in der weltweit größten Lichtshow zu einem 500 Meter großen Videostream geschaltet.

Fremont Street Experience

Den ersten Platz im Wettbewerb der amerikanischen Ess-Unkultur gewinnt das Heart Attack Grill. Das Burgerrestaurant brüstet sich damit, dass Pommes und Gummibrötchen nochmal extra in reines Schweineschmalz getunkt werden.

Heart Attack Grill

Die Bedienungen tragen Krankenhausbekleidung, die Gäste bekommen ein OP-Hemd übergezogen und die Getränke werden über Infusionsbeutel verabreicht. Besucher mit einem Kampfgewicht von über 175 Kilo essen hier umsonst und der Notarzt geht aufs Haus, sollte Jemand während des Essens wegen Verfettung vom Stuhl kippen.

Im Heart attack grill
Perverser geht es kaum: Essen bis zum Umfallen

Wem es danach immer noch nicht übel ist, der kann auf dem Stratosphere Tower in 350 Meter Höhe diverse Fahrgeschäfte ausprobieren. Oder einfach einen Bungeesprung vom Dach machen.

Stratosphere Tower
Stratosphere Tower
Sprung vom Stratosphere Tower
Nur für Mutige
Fahrgeschäft auf Stratosphere tower in Las Vegas
Vergnügungspark auf der Spitze des Stratosphere Towers

Wir gingen einen Straßenblock weiter ins VegeNation und schlemmten uns durch die leckere vegane Speisekarte. Amerika ist eben das Land der Extreme.

Wenn man vom Flugzeug aus das Umland von Las Vegas sieht, fragt man sich unwillkürlich, warum zum Teufel Jemand mitten in die Wüste eine Stadt baut. Deshalb ist es nun wieder an der Zeit für einen kleinen Ausflug in die Geschichte:

Im Januar 1855 machte ein Treck mit mormonischen Siedlern Rast an einer der wenigen natürlichen Quellen in der Mojavewüste. Rund um die kleine Oase blühten saftige grüne Wiesen und die Wintersonne erwärmte das unbewohnte Land. Manche der Mormonen stellten sich ungefähr so das Paradies vor. Am nächsten Morgen verkündete der Älteste, dass ihm ein Prophet die Botschaft überbracht habe, dass dieses heilige Stück Land ab sofort ihre Heimat sei.

Also bauten die Männer ein paar bescheidene Hütten und einen Brunnen und die Frauen vertrauten das Saatgut dem fruchtbaren Boden an. Alles war gut und am ersten Sonntag nach ihrer Ankunft taufte der Älteste die himmlische Siedlung auf den Namen „Las Vegas“, der spanischen Bezeichnung für „die Auen“. Und zur Feier des Tages nahm er sich gleich noch eine dritte Frau, die vierzig Jahre jüngere Esther, denn der Herr belohnt die Tüchtigen.

Wüste bei Las Vegas
Die Mojave-Wüste im Umland von Las Vegas

Leider benahm sich die neue Heimat bald ziemlich widerspenstig. Im Frühjahr gab es einen unerfreulichen Zwischenfall mit den Pajute-Indianern, die auf dem Weg in ihre Sommerjagdgründe an der Quelle ihre Pferde tränken wollten. Diese ignoranten Wilden wollten partout nicht einsehen, dass das Land, von dem sie seit Jahrhunderten lebten, nun den bärtigen Bleichgesichtern gehörte. In ihrem Glauben hatte Manitu die Natur allen Geschöpfen auf der Erde zur gemeinsamen Nutzung anvertraut. Erst als die Mormonen mit ihren Vorderladern zwei Krieger in die ewigen Jagdgründe schickten, sahen die Heiden ein, dass die Zeiten sich geändert hatten und zogen ab.

Um das Gleichgewicht der Natur wieder herzustellen, töteten die Indianer noch in der selben Nacht zwei mormonische Wachtposten und entführten als kleine Aufwandsentschädigung zwei Maultiere.

In der Gluthitze des Sommers verdorrte der größte Teil der Ernte und im Herbst machten wochenlange Sandstürme die Siedler mürbe. Auf ihrer Rückreise ins Winterlager versuchten die Indianer gar nicht erst zu diskutieren, sondern nahmen heimlich in der Nacht die Hälfte des Viehs mit. Naturvölker sind zwar oft eher einfach gestrickt, aber immer sehr lernfähig.

Daraufhin verkündete der Älteste, dass ihm der Prophet eine Planänderung mitgeteilt habe: Sie sollten zu ihren Brüdern in das gelobte Land um den großen Salzsee ziehen. Also packten die Siedler ihre Sachen und zogen nach Norden. Der Älteste entschied sich für den kürzesten Weg durch eine unwirtliche Tiefebene, denn der Herr ist ein Hirte und er geleitet seine Schäfchen, so dass es ihnen an nichts mangelt.

Zabriskie Point
Zabriskie Point im Death Valley
Zabriskie Point
Der schönste Sandhaufen der Welt

Wasserstellen gab es in diesem Talkessel keine, aber viel Sand, in dem die Räder der schweren Wagen stecken blieben. Die einzige Pfütze war so salzig, dass nicht einmal die Maultiere aus diesem „Badwater Basin“ trinken wollten.

Der tiefste und gleichzeitig lebensfeindlichste Ort auf dem ganzen amerikanischen Kontinent

Entweder war der Hirte gerade woanders beschäftigt, oder er rechnete einfach nicht damit, dass seine Schäfchen sich dermaßen zielstrebig ins Unglück stürzten. Jedenfalls fand eine Militärpatrouille Jahre später die Skelette der verdursteten Siedler. Als die Nachricht vom Unglück der Mormonen sich verbreitete, sprachen die Menschen bald nur noch vom „Death Valley“, dem Tal des Todes.

Salzwasser ist die einzige Flüssigkeit im Death Valley

Fünfzig Jahre später war auf den Ruinen der Siedlung ein Eisenbahnknotenpunkt entstanden. Weil für die harte Arbeit in der Wüste kaum Arbeitskräfte zu motivieren waren, versteigerte die Eisenbahngesellschaft einige Grundstücke an Investoren. Diese sollten alles bauen, was Männer zum Glücklichsein brauchen: Unterkünfte, einen Saloon mit Alkoholausschank, ein Bordell und ein Casino. Und so zog die Sünde in Las Vegas, Nevada ein und sie blieb lange, lange Zeit dort wohnen.

In den USA wurde 1919 das Glücksspiel verboten, einzige Ausnahme war der Bundesstaat Nevada. Das Alkoholverbot in der Prohibition machte Las Vegas dann unwiderstehlich für die New Yorker Mafia. Durch Alkoholschmuggel verdienten sie im ganzen Land Millionen von Dollar, die sie in den Spielcasinos zu legalen Scheinchen reinwuschen. Ein paar Verluste mussten sie dabei ärgerlicherweise in Kauf nehmen, denn bekanntlich gewinnt die Bank immer.

Es war Bugsy Siegel, der schließlich eine Eingebung hatte, die vieles veränderte. Wenn die Bank immer gewinnt – so dachte er – dann sollte man am Besten selbst die Bank sein. Er überzeugte die anderen Mafiabosse, Meyer Lansky und Lucky Luciano in den 1940er Jahren, einen großen Teil ihres Schwarzgeldes in ein Luxuscasino zu investieren. Zur Eröffnung des Flamingo trat Frank Sinatra auf, damals der Superstar schlechthin.

Mit dem Flamingo begann das goldene Zeitalter des Glücksspiels

Das war der Startschuss für einen gigantischen Bauboom mit ständig neuen Superlativen. Eine Zeit lang standen 18 der 20 größten Hotels der Welt in Las Vegas und jedes Jahr lassen 30 Millionen Besucher etwa 10 Milliarden Dollar in der Stadt der Sünde zurück. Bugsy Siegel wurde nur wenige Monate nach der Eröffnung des Flamingo von einem Unbekannten erschossen. Noch heute weist eine Plakette im Innenhof des Hotels auf seinen Pioniergeist hin, denn wahre Helden sind unsterblich.

Las Vegas Sign – Rückseite
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Autor: sinnlosreisen

Geschichten über die lustige Seite des Urlaubs

11 Kommentare zu „Las Vegas“

  1. Ach wären nur alle Geschichtsführer so spannend geschrieben, dann würde man sie nie wieder in die Ecke pfeffern… 😉 Schöner Beitrag. Und endlich weiß ich, was es mit Las Vegas auf sich hat. Aber haben die Casinos aktuell nicht indianisstämmige Betreiber? Mir war so, als ob…

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    1. Fast richtig 😂😇. Die Indianer dürfen in den USA auf ihren Stammesterritorien Spielcasinos betreiben und tun das auch, weil es eine Menge Geld bringt. Aber Las Vegas liegt nicht in einem Indianerreservat, daher sind hier die gleichen seriösen Geschäftsleute wie früher am Werk.

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  2. Das ist typisch amerikanisch: man will alles größer, prächtiger (Wieso wurde der olle Eiffelturm eigentlich nicht vergrößert?). Aber dann kopieren sie Versailles, ohne zu wissen, dass bereits der als vorausschauender Tourismusspezialist heute noch gelobte König Ludwig II, ein Wittelsbacher (ja, die aus der Pfalz, die ursprünglich dieses Erbstück Bayern gar nicht wollten und gern wieder hergegeben hätten – so geht man mit Land und Leuten um, wenn man qua Geburt gottgewollt Herr darüber ist) diesen Nachbau in leicht vergrößerter Form vorgenommen hat! Hätte man sich rechtzeitig erkundigt (eventuell nicht bei dem Schloßfachmann Disney), hätte man das herausbekommen können, aber so…
    Tja, Amerika, da hast du’s: Schloß Herrechchiemsee ist in Teilen größer als Versailles. Nicht viel, aber halt doch!

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