Fuerteventura

Tag 6 – Freitag

Heute hatte ich wieder eine lustige Nacht mit einer Freundin von Lucy. 200 Stiche an Armen und Beinen, ich sehe aus als hätte ich in einem Ameisenhaufen übernachtet. Um fünf Uhr erwische ich sie endlich, wie sie zufrieden, schläfrig und zutraulich am Kopfende meines Bettes an der Wand hängt. Jetzt ist dort ein hässlicher Blutfleck in meiner Blutgruppe.

Schlafen ist jetzt nicht mehr drin. Ich zieh im Dunkeln los – Strandwanderung. Und dann erlebe ich einen der schönsten Momente meines Lebens: Auf der einen Seite geht der riesige bleiche Vollmond majestätisch hinter den Bergen unter – und auf der anderen Seite erhebt sich gleichzeitig die feuerrote Sonne am Horizont. Und dazwischen nur das Meer, der Strand und ich. Das ist Spiritualität, wie sie nur das Leben selbst hinbekommt.

In diesen paar Minuten zwischen dem Ende der Nacht und dem Anfang des Tages wird mir klar, wie unbedeutend die ganzen Sorgen und Problemchen sind, die mich in den letzten Monaten so gequält haben. Und ich spüre plötzlich, wie die kosmische Energie durch meine Adern schießt. Ich spüre, dass ich stark und unbesiegbar bin, dass mich nichts aufhalten kann, dass mich nichts am Glücklichsein hindern kann. Ich fühle mich wie eine Mischung aus Odysseus und Achilles (nur jünger) und jogge die ganze Strecke barfuss zurück zum Hotel, ohne einen Schweißtropfen zu vergießen. Welcome good times – I’m back!

Später beim Frühstück begrüßt mich ein hochgradig nervöser Torsten mit der Nachricht, dass unser Rückflug gecancelt wurde. Ihm wurden als Alternativen Berlin oder Leipzig angeboten. Odysseus lässt grüßen. Kein Problem, ist mein erster Gedanke, von mir aus könnte ich auch ein paar Tage in Fuerteventura dranhängen.

Oder ich bleibe für immer hier und nehme die spanische Staatsbürgerschaft an. Torsten scheint eh etwas vom Pech verfolgt zu werden. Er war damals gerade auf Mallorca, als der isländische Vulkanausbruch den ganzen Flugverkehr mit seinem Ascheregen lahm legte. Er musste dann auf eigene Faust mit Fähre, Bus und Zug auf dem Landweg zurück nach Dresden. Vielleicht liegt es am Musikgeschmack – er ist Fan der Blasmusikszene und geht auf Livekonzerte von Leuten, deren Name bei mir Gänsehaut auslöst.

Beim Aufstehen vom Frühstückstisch spüre ich die Nachwirkungen meines morgendlichen Laufes: meine Achillessehne schmerzt so stark, dass ich kaum die Stufen bis zur Toilette schaffe. Und dieses Andenken an meinen Singleurlaub werde ich für die nächsten sechs Wochen behalten. Echt witzig, diese griechischen Jungs! Man sollte sich eben nicht mit Halbgöttern vergleichen. Niemals…

Ich habe mich wieder in Renees Kitecenter niedergelassen. Diese letzten Zeilen schreibe ich unter Palmen bei einem Mojito. Mein Flug scheint doch planmäßig zu gehen, zumindest behaupten das alle Quellen, die ich im Internet anzapfe. Anscheinend wurde nur der Abstecher nach Dresden storniert. Auch recht, ist vielleicht besser, nicht mit dem Pechvogel Torsten in einem Flieger zu sitzen. Ich bleibe noch ein wenig liegen, zähle die Palmenblätter über mir und schaue der Flut zu, wie sie langsam steigt. Und steigt. Und steigt. Seufz…

Mein Körper ist leicht, alle Muskeln locker. Mein Geist schwebt über mir, irgendwo in den Palmwedeln. Ich kann meinen Körper unter mir liegen sehen. Sieht entspannt aus, der Typ da unten. Trinken ist wie Yoga. Aus.

blick in den palmenhimmel

Tag 7 – Samstag (Rückreise)

Am Flughafen von Fuerteventura treffe ich Torsten wieder. Er steigt gerade mit verzweifeltem Gesicht in den Flieger nach Leipzig, während ich mich am Nachbargate niederlasse. Beim Einstieg in mein Flugzeug stellt sich heraus, dass der Flug bis auf den letzten Platz ausgebucht ist und der Flieger doch wieder über Dresden fliegt. Armer Torsten, manche Menschen haben einfach kein Glück.

Nachtrag: Meine beste Freundin hat mich zum Schreiben animiert. Inzwischen ist sie die Frau, die meine schlimmsten Seiten kennt und mich trotzdem aushält. Danke.

7 Kommentare zu „Fuerteventura“

  1. Da bin ich gespannt, wie es weiter geht. Ob Jack seinen Folterern entkommen kann?

    Und natürlich auch dein Urlaub… *grins*

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  2. So, bin eben zu ende gekommen… Ich habe zu spät bemerkt, dass die ganzen sechs Seiten ein (!) Beitrag sind… Jeden Tag entspannt am Strand wandern, da lässt sich die Einsamkeit mit der Zeit doch aushalten 🙂

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    1. Ja, die viele Zeit ganz alleine war anfangs ungewohnt, aber dann ganz entspannend. Und letztendlich war das der erste Urlaub, in dem ich vor lauter Langeweile auf die Idee kam, meine Erlebnisse aufzuschreiben…

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  3. So beginnt es also… die längste Reise.
    Wobei, eine geschlossene Schneedecke ziehe ich einem Vulkanausbruch vor. Aus der Ferne mag er ja ganz interessant aussehen, aber wenn man näher herankommt, dann wird es allmählich ungemütlich. Das mag auch für den Schnee gelten, der im Winter fehlte und sich ins Frühjahr mogelt. Aber da ist ein großer Unterschied.

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