Fuerteventura

Tag 1 – Sonntag

06:30 Uhr. Ich werde wie immer zu früh wach, aber was soll’s – Schnell aus der Not eine Tugend gemacht und runter zum Strand. Endlose Weiten tun sich auf – und kein Mensch in Sicht, nur ein paar verschlafene Möwen überprüfen, was das Meer über Nacht angespült hat.

07:30 Uhr. Sonnenaufgang. Ich bin seit einer Stunde in Richtung Süden unterwegs und habe keinen Menschen getroffen. Hier offenbart sich eine neue Deutung des Wortes Singlereise – Ich bin hier tatsächlich ganz alleine.

einsamer strand in fuerteventura

08:00 Uhr. Zurück im Hotel und ein paar Runden in einem der unberührten Becken gedreht. Ich habe den ganzen Pool für mich alleine – geil. Wo sind die bloß alle? Als ich den Pool verlasse, fällt mir ein Schild auf: „Die Pools werden von 20 Uhr abends bis 9 Uhr morgens gechlort – Benutzung streng verboten“. Aha. Wer lesen kann, ist eindeutig im Vorteil.

unbenutzter pool im morgenlicht

09:00 Uhr. Frühstücksbuffet. Ich bekomme einen Tisch für mich alleine, was mir ganz recht ist. Vor der zweiten Tasse Kaffee bin ich sowieso kein guter Gesprächspartner. Meine Hand riecht auffällig nach Chlor, obwohl ich zur Dekontaminierung ewig geduscht habe.

10:00 Uhr. Mittagspause, Gammeln, Lesen, Siesta, Dösen – Herrlich. Die einzige Störung ist die Blase, die alle paar Stunden geleert werden muss. Meine beste Freundin hatte mich um ein regelmässiges Update gebeten. Daher schreibe ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Reisetagebuch. Es soll nicht das Letzte bleiben.

20:00 Uhr. Abendessen am Buffet. Die meisten Speisen halten nicht das, was ihr Aussehen verspricht. Ich halte mich an den Fisch, frisch vom Koch zubereitet: Show-Cooking. Mein erstes Wort an diesem Tag lautet „Gracias“, ist an die Bedienung gerichtet und kommt um 21:00 Uhr über meine Lippen. Eigenartig, seine eigene Stimme nach so langer Zeit wieder zu hören.

Im Speisesaal erkenne ich eine klare Ordnung. Ganz oben in der Hierarchie stehen die Großfamilien, die mit drei Generationen und Freunden an den Achtertischen sitzen. Dort geht es lustig zu, alle reden durcheinander und die Laune ist permanent überschäumend gut.

Dann gibt es die klassische Kleinfamilie am Vierertisch, bei Bedarf mit zusätzlichem Kinderstuhl: Zwei Eltern mit ein bis drei Kindern, alle noch nicht im schulfähigen Alter. Hier ist die Stimmung ganz anders – die Eltern wirken meist recht genervt, die Zwerge sind je nach Alter mehr oder weniger anstrengend. Die Mundwinkel zeigen eher nach unten, die Gesprächsthemen drehen sich überwiegend ums Organisieren und darum, wie man anständig das Abendessen übersteht ohne allzu viel Aufsehen zu erregen.

Dann gibt es noch die Pärchentische. Einige wenige scheinen verliebt zu sein, das sind vor allem die Jüngeren, Händchen haltend, zwischen jedem Bissen ein Küsschen. Dann ein paar Senioren, die ihren Frieden mit dem Leben gemacht haben. Und nur ganz wenige in meinem Alter. Die Gespräche laufen an allen Pärchentischen eher stockend, mit vielen Pausen; man scheint sich schon alles gesagt zu haben.

Ja, und ganz unten in der Hackordnung stehen wir Singles. Allein am Tisch und daher zwangsläufig stumm. Das Essen schmeckt mir alleine nicht und ich habe das Gefühl, ich bin im falschen Film. Wie zum Teufel konnte ich glauben, dass ein Urlaub alleine irgendeinen Sinn haben könnte? Eine Flasche spanischer Wein landet gerade rechtzeitig an meinem Tisch, um mich vor einer tiefen Sinnkrise zu retten. Der Kellner scheint eine gute Menschenkenntnis zu haben.

21:30 Uhr. Es ist zwar schon dunkel, aber ich mache einen Strandspaziergang im Mondlicht, diesmal in die andere Richtung. Nach einer Stunde treffe ich immer noch keine Menschenseele und da ist kein anderes Hotel, obwohl da nach meiner Erinnerung an Google Maps eigentlich eines sein müsste. Ich lege mich auf eine vergessene Liege und frage mich, was der Sinn des Lebens ist. Ich finde keine Antwort.

Auf dem Rückweg ist der Mond hinter einer Wolke verschwunden und es ist verdammt finster. Die Felsen, die auf dem Hinweg ganz harmlos aussahen, sind auf einmal unberechenbar scharfkantig und irgendwie viel steiler. Ich frage mich, ob es hier Schlangen oder Skorpione gibt. Und nennt man die auf National Geographic nicht „Jäger der Nacht“? Mir ist mehrmals, als ob ich huschende Geräusche hören würde, aber es ist mir letztlich egal. Vermissen würde mich hier sowieso niemand und Singles sind im Urlaub eh überflüssig wie ein Mückenstich.

7 Kommentare zu „Fuerteventura“

  1. Da bin ich gespannt, wie es weiter geht. Ob Jack seinen Folterern entkommen kann?

    Und natürlich auch dein Urlaub… *grins*

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  2. So, bin eben zu ende gekommen… Ich habe zu spät bemerkt, dass die ganzen sechs Seiten ein (!) Beitrag sind… Jeden Tag entspannt am Strand wandern, da lässt sich die Einsamkeit mit der Zeit doch aushalten 🙂

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    1. Ja, die viele Zeit ganz alleine war anfangs ungewohnt, aber dann ganz entspannend. Und letztendlich war das der erste Urlaub, in dem ich vor lauter Langeweile auf die Idee kam, meine Erlebnisse aufzuschreiben…

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  3. So beginnt es also… die längste Reise.
    Wobei, eine geschlossene Schneedecke ziehe ich einem Vulkanausbruch vor. Aus der Ferne mag er ja ganz interessant aussehen, aber wenn man näher herankommt, dann wird es allmählich ungemütlich. Das mag auch für den Schnee gelten, der im Winter fehlte und sich ins Frühjahr mogelt. Aber da ist ein großer Unterschied.

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